Dr. Miriam Oesterreich

Dr. Miriam Oesterreich

Athene Young Investigator

Dr. Miriam Oesterreich ist seit dem SoSe 2021 an der Universität der Künste in Berlin tätig und dort

Forschungsinteressen

Postkoloniale Theorie und Geschlechterstudien des 19. bis 21. Jahrhunderts in der Kunst- und Kulturgeschichte. Verflechtungen von Kunst und Populärkultur. Alteritätsdiskurse und Konstruktionsprozesse und deren Visualisierung und Verhandlung durch zeitgenössische Kunst. Kunstgeschichte im globalen Kontext, Transkulturalität

Prof. Dr. Miriam Oesterreich

ist Athene Young Investigator an der Technischen Universität Darmstadt. Sie ist Postdoktorandin in Kunstgeschichte (seit 2016) und wissenschaftliche Mitarbeiterin (seit 2013) an der Sektion Mode & Ästhetik. Derzeit forscht sie in ihrem Postdoktorandenprojekt zu den globalen Verflechtungen des mexikanischen Indigenismus als avantgardistische Kunstpraxis. In ihrer Dissertation (2015) hat sie die Inszenierung „exotischer“ menschlicher Körper in der früheren Bildwerbung, 1880 – 1914, für die Kunstgeschichte aufgearbeitet. Sie studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Altamerikanistik an den Universitäten Heidelberg, Havanna (Kuba), Valencia (Spanien) und an der Freien Universität Berlin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Exzellenzinitiative Transkulturelle Studien an der Universität Heidelberg (2009 – 2011) und absolvierte ein wissenschaftliches Volontariat am Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein (2011/12), wo sie verschiedene Ausstellungen moderner und zeitgenössische Kunst. 2016 war sie Fellow an der Transregional Academy „Modernisms – Concepts, Contexts, and Circulation“ in São Paulo und 2017 an der Transregional Academy „Mobility – Objects, Materials, Concepts, Actors“ in Buenos Aires. Für ihr initiiertes Postdoc-Projekt zum mexikanischen Indigenismus erhielt sie den Departmental Research Award der TU Darmstadt und war 2019 Ansel Adams‘ Fellow des Center for Creative Photography an der University of Arizona. Seit April 2020 arbeitet sie in einer globalen Forschung Team zum Projekt „Worlding Public Cultures – The Arts and Social Innovation“.

Nickolas Muray: Frida on a white bench, New York 1939, Nickolas Muray Photo Archives.

Innerhalb der Künstlermilieus der mexikanischen Avantgarde, zu der auch eine Reihe in Mexiko arbeitender ausländischer Künstler und Künstlerinnen zählen – galt das Mexikanisch-Indigene als unverbrauchte Ressource zur Etablierung eines individuellen virtuosen Status, als künstlerisches Alleinstellungsmerkmal, genauso wie zur Inszenierung eines modernistischen Diskurses über die nationalen Grenzen hinweg. Der mexikanische Indigenismus wird dabei in der Forschung stets statisch als nationales Phänomen vorgestellt, der im Sinne einer „belated modernness“ avantgardistische, auch primitivistische, Praktiken künstlerischen Schaffens in Europa aufgriff und durch das ‚eigene‘ indigene Element zu einer spezifisch mexikanischen Kunstbewegung weiterentwickelte.

Dieser Begriff der Moderne, der mit Ursprungsmythen und Authentizitäts- und Meisterdiskursen einhergeht, soll in meinem Forschungsprojekt kritisch hinterfragt und für die mexikanische Avantgarde aufgearbeitet werden. Der mexikanische Indigenismus mag sich als nationale Kunst gerieren, die Arbeit soll jedoch aufzeigen, dass er sich allenthalben in komplexen und wechselseitigen Beziehungen mit einer international agierenden Avantgarde-Bewegung befindet.

In einer Zeit politischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Umbrüche sowohl in Latein- wie in Nordamerika und Europa zirkulierten sowohl künstlerische Objekte (Picasso schenkte Frida Kahlo Ohrringe!) als auch Künstler und Künstlerinnen selbst (Rivera in Paris, Breton in Mexiko) – auf Suche nach Inspiration, als Exilanten – transregional. Sowohl Ästhetiken (die Gestaltung modernistischer Zeitschriften) wie Konzepte (der Indigenismus) befanden sich in einem komplexen wechselseitigen – transkulturellen, -regionalen, -disziplinären – Austausch. Das modernistische Mexiko erscheint hier als Schnittstelle vielfältiger Moderne-Diskurse, deren migratorisches Potential Grundlage auch einer Neuverhandlung von etablierten Terminologien zur ‚Moderne‘ darstellt. Die Verflochtenheit der künstlerischen Avantgarde-Szenen soll ausgehend von einer Analyse der mexikanischen Situation Schlaglichter vor allem auf panamerikanistische Bestrebungen mit den Zentren Mexiko-Stadt, Lima und São Paulo werfen, auf die US-amerikanische Situation mit New York als künstlerischem Zentrum, auf das Paris der ‚Année Folles‘ und das expressionistische Deutschland.

Es sollen vielfältige künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten unter dem bislang zumeist auf Malerei beschränkten Begriff des Indigenismus gefasst und analysiert werden, so neben der Malerei, Grafik und Fotografie auch Mode, künstlerische Selbstinszenierung und Performance, Architektur und Ausstellung, Buch- und Zeitschriftengestaltung. In Case Studies ausgewählter Ausgangsbeispiele – z.B. den modischen Inszenierungen Frida Kahlos, den wechselseitigen Referenzen avantgardistischer Zeitschriften aufeinander, dem Sammeln und Ausstellen prähispanischer Artefakte, der Inszenierung von Folklore – sollen die Verflechtungen transregional agierender Avantgarden detailliert aufgearbeitet werden und damit das Paradigma national-identitärer Kunst in Mexiko zugunsten eines praktizierten künstlerischen Panamerikanismus und Kosmopolitanismus aufgezeigt werden.

Within the Mexican avant-garde bohème milieus – in parts integrating foreign, Mexican-based artists –, the Mexican-indigenous was considered a fresh and unique resource to establish an individual masterly status as well as to stage a modernist discourse well beyond national borders. Thereby, Mexican Indigenism is mostly presented as a static national phenomenon which, in terms of a “belated modernness”, picked up European avant-garde as well as primitivistic art practices and further developed a specific Mexican art movement by means of the alleged ‘own’ indigenous element. This concept of modernity, correlating with myths of origin and discourses of authenticity and mastery, shall be questioned critically in my research project and elaborated for the Mexican avant-garde scene.

This paper will show that, although the Mexican Indigenism may define itself as a national art movement, it forms a fundamental part of a network of mutual and complex relations within a transnationally acting avant-garde movement. This movement took place in a time of radical changes in politics, society and art, when objects of art circulated between Europe and the Americas (Picasso gave self-made earrings to Frida Kahlo!) as well as artists did (Rivera in Paris, Breton in Mexico), looking for inspiration or as refugees. Aesthetics (the style of modernist journals) as well as concepts (indigenism, i.e.) formed parts of a complex reciprocal exchange: transculturally, transregionally, transdisciplinary. Hence, modernist Mexico can be understood as an interface of various discourses on modernity, the latter’s migrant potential also represents the basis for a renegotiation of established terminologies of modernism.

Starting from an analysis of the Mexican situation, the entanglement of the avant-garde art scenes shall be demonstrated by highlighting pan-Americanist ambitions with Ciudad de México, Lima and São Paulo as integral, the US-American scene with New York as artistic center, ‘Année Folles’-Paris and the Expressionist Germany.

The hitherto mostly painting-related term of Indigenism shall be extended towards manifold artistic expressions. So, besides painting, graphic arts, and photography, also fashion, artistic self-staging and performance, architecture and exhibition practices, book and review design are shown as parts of the Indigenist ‚style’. Case studies of selected examples – i.e. Frida Kahlo’s fashions, the reciprocal references of avant-garde journals of the time, the collecting and exhibiting of pre-Hispanic artifacts, the staging of folklore – shall elaborate the entanglements of transregionally acting avant-gardes; hence, the paradigm of national-identitarian art in Mexico will be questioned in favor of demonstrating the practiced artistic pan-Americanism and cosmopolitanism.