Sichtbarkeitspolitiken von Migration
5. Workshop des DFG Forschungsnetzwerks: “Entangled Histories of Art and Migration”

Sichtbarkeitspolitiken von Migration

5. Workshop mit öffentlichem Vortrag

im Rahmen des DFG Forschungsnetzwerks:

“Entangled Histories of Art and Migration: Forms, Visibilities, Agents”

organisiert von Prof. Dr. Alexandra Karentzos (TU Darmstadt), Prof. Dr. Melanie Ulz (Universität Regensburg)

Technische Universität Darmstadt, 4.-5. Februar 2022

Präsenzhybrid

Ort: Friedrich-Ludwig-Weidig-Saal 18 in dem Gebäude S3|20, Rundeturmstraße 10

Im Jahr 2021 hat sich zum sechzigsten Mal das deutsche Anwerbeabkommen mit der Türkei gejährt. Zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen lassen die Lebensrealität derjenigen sichtbar werden, die als sogenannte Gastarbeiter*innen nach Westdeutschland kamen. Die Realisierung des seit ca. 30 Jahren von DOMID geforderten Museums scheint durch die 2019 erfolgte Mittelbereitstellungen des Bundes für ein Haus der Einwanderungsgeschichte in greifbare Nähe gerückt zu sein.

Zur gleichen Zeit werden Immigrant*innen an den EU-Außengrenzen mit illegalen Push Backs zurückgeschoben. Insbesondere Bilder von Familien mit Kindern, die im Grenzgebiet von Polen und Belarus hungern und frieren, gehören im November 2021 zur Alltagsrealität und sollen das Leid dort sichtbar machen. Ein Jahr nach dem Brand in Moria sind zeitgleich neue Lager entstanden, in denen Asylsuchende zukünftig fernab von städtischer Infrastruktur und öffentlicher Wahrnehmung hinter Stacheldraht interniert werden sollen. Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung der visuellen Repräsentation, d.h. der (Un-)Sichtbarkeit von Migration in historischer und gegenwärtiger Perspektive zukommt.

Die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Migrant*innen ist konstitutiv für deren Wahrnehmung, denn die politische Auseinandersetzung mit Migration und Zuwanderung sowie Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft einer Einwanderungsgesellschaft sind stark visuell geprägt. Bilder dienen als Movens politischer Debatten; Denkmäler und Institutionen tragen dazu bei, Erinnerungsdiskurse retrospektiv zu strukturieren. Die Beispiele zeigen exemplarisch, inwiefern die Sichtbarkeit von Migration abhängig ist von weiteren Faktoren, wie Zeit, Ort und Raum. Die vielfältigen und komplexen Ebenen der (Un-)Sichtbarkeit von Migrant*innen erfordern daher eine intersektionale Herangehensweise, die auch auf die unterschiedlichen Konzeptionen von Geschlecht und Ethnizität bzw. race, class und gender scharf stellt.

Bilder tragen wesentlich zur Interpretation von Wirklichkeit und damit auch zur Wahrnehmung von Migrant*innen bei. Sie sind an der Aushandlung von Selbst- und Fremdwahrnehmung beteiligt, da sie tradierte Vorstellungen von Migration oder Flucht sowohl reproduzieren und verfestigen als auch modifizieren, transformieren und verändern können

Sichtbarkeit ist ein zentraler Faktor politischer Repräsentation, da Sichtbarmachung eine angemessene Interessenvertretung in der (kulturellen und politischen) Öffentlichkeit verspricht, die mit der (symbolischen) Verschiebung von Machtverhältnissen einhergehen kann. Sichtbarkeitspolitiken können daher als Aushandlungsprozesse verstanden werden, über die gesellschaftliche Teilhabe bzw. eine Umverteilung von Macht und Ressourcen eingefordert werden. Sichtbarkeit ist jedoch, wie Johanna Schaffer (2008) dargelegt hat, immer zweischneidig, denn sie ist nicht nur ein Instrument im Kampf um politische Partizipation, sondern auch ein Kontrollinstrument, das der Stabilisierung hegemonialer Herrschaftsverhältnisse zuarbeitet.

Der Workshop widmet sich diesen Bildpolitiken und will migrationsspezifische Sichtbarkeiten sowohl in zeitgenössischen Massenmedien als auch im Feld der Kunst, der Institutionen und des öffentlichen Raums analysieren und die damit verknüpften visuellen Aushandlungsprozesse theoretisieren. Welcher Stellenwert kommt der medialen (Un-)Sichtbarkeit von Migration zu? Welche Rolle spielen Bilder, die migrationspolitische Ereignisse und Phänomene kommentieren und interpretieren, Sichtweisen vorgeben, dominieren, wiederholen oder ausblenden? Und welchen Stellenwert haben künstlerische Interventionen, die die Funktion der dokumentarischen Bilder als Knoten von Machtwissen, als Repräsentation von ‚migrantischer Realität‘ nutzen, um neue Perspektiven und widerständige Sichtweisen auf migrationsspezifische Themen zu eröffnen und dadurch neue Zugänge schaffen?

Freitag, 4. Februar 2022

14:00 Begrüßung und Einführung
Alexandra Karentzos und Melanie Ulz
14:30 Rhea Dehn Tutosaus: Vortrag mit Filmscreening
Randa Maroufi:
Bab Sebta (Ceuta’s Gate)
, film, 19 Minuten, 2019
16:00 Kaffepause
16:30 – 18:00 Filmscreening:
Ursula Biemann (in Zusammenarbeit mit Angela Sanders): Europlex, 2003, Video Essay, 20 Min.
Ursula Biemann: Contained Mobility, 2004, synch. Two-Channel Video-Installation, 20 Min.
mit anschließender Diskussion in der Gruppe

Samstag

10:00 – 12:30 Netzwerkinterne Inputs und Diskussion des Materials im Fishbowl-Format :
Cathrine Bublatzky + Kea Wienand im Gespräch:
„Blickverhältnisse – Körper – migratory aesthetics?“
Gabriele Genge: „Sichtbarkeit im Stillleben: Paul Cézanne und Lynette Yiadom-Boakye“
Melanie Ulz: Die mehrfache Unsichtbarkeit vietnamesischer Arbeitsmigrant*innen in DDR und BRD: Sung Tieus Song for VEB Stern-Radio Berlin
14:00 – 15:00 Abschlussdiskussion